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Alle Texte gedruckt unter dem Titel "Bildnerisches Denken" bei "Bibliothek Welt nach Maß", Kottigstezham 3, D 84359 Simbach am Inn


Von der Bildfläche
     Obwohl ich schon früh in der Jugend relativ ansehnlich, wie gesagt wird, „nach der Natur“ zeichnen konnte, blieb mir diese Fähigkeit, sowohl bei mir selber, als auch bei anderen, lange Zeit ein völlig undurchschaubares Rätsel. Sie wurde zwar von meiner Umgebung durchaus bewundert und war sicher auch einer der Gründe, warum ich später Malerei zu studieren begann. Ich selber war allerdings, soweit ich mich erinnere, daran nicht besonders interessiert und in dieser Hinsicht auch eher unkritisch. „Realismus“ war eine Eigenschaft, die ich eher der Fotografie zuschrieb, obwohl die damals noch vornehmlich in Schwarzweiß auftrat. Selber zu fotografieren hatte mich allerdings nie nachhaltig fasziniert. Mit dem, was im eigentlichen Sinne mit dem Wort Kunst – also künstlerische Malerei – bezeichnet wird, machte ich erst ziemlich spät Bekanntschaft und daraufhin durchliefen die von mir gemalten Bilder in rascher und eher ungeordneter Folge einige Malstile der Kunstgeschichte mit durchaus mittelmäßig vorzeigbaren Ergebnissen, wobei ich eine selbstgesetzte Mindestgrenze an Eigenständigkeit geflissentlich nicht unterschritt. Aber schon damals kam mir der Verdacht, dass all meine Fähigkeiten eher aus der durchaus immer wieder staunenden Beobachtung der Vorgänge auf der Mal- oder Zeichenfläche entsprangen und Naturbeobachtung immer erst ein zweiter Schritt gewesen war, nachdem ein erster Bildgedanke schon aus Malmaterial und Malfläche oder als Relikt aus vorherigen Arbeiten aufgetaucht war. Soviel zu meinen ersten bildnerischen Versuchen.
     Häufig wird den historisch gesehen frühesten bisher bekannten Bildern der Höhlenmalerei (Abb. 1-2) eine ähnliche Bewunderung entgegengebracht. Forscher und Entdecker loben, wie „naturgetreu“ bereits viele dieser Abbildungen seien, auch mit Hinblick auf die Tatsache, dass z.B. im Untergrund wohl kaum „Modelle“ zur Verfügung standen, schon gar nicht in Bewegung, wie sich das dann auf den Bildern darstellt. Ich selber staune allerdings eher darüber, warum gerade das sogenannte Abbild so viel Bewunderung erntet und habe bis heute noch nicht ausreichend verstanden, wie denn der Vergleich eines Bildes mit „der Wirklichkeit“ eigentlich funktioniert, vor allem, weil ihn meist die Leute anstellen, denen selber das Abbilden und das heißt wohl auch das bildnerische Vergleichen nicht besonders gut gelingt. ­­­


     „Ceci n’est pas une pipe“, das ist keine Pfeife, schreibt Rene Magritte unter die etwas linkisch im Malbuchstil gemalte Abbildung einer Tabakspfeife. Das Bild trägt den Titel „La trahison des images“ (Der Verrat der Bilder), auf den mehrdeutigen Genitiv will ich hier nicht näher eingehen. Im Zusammenhang mit dem, auf das ich jetzt hinweisen möchte, fällt zunächst auf, dass Magritte dem Bildgrund keinerlei Aufmerksamkeit schenkt. Er schreibt den Satz so, wie er die Pfeife malt, auf einen neutral dienlichen Träger. Er erklärt dann auch in Anmerkungen zu diesem Bild später noch genauer, dass man die abgebildete Pfeife eben weder stopfen noch rauchen könne. Das heißt aber doch zuallererst, dass eine wirkliche Pfeife zwar unter anderem vielleicht sicht- bzw. darstellbar, das aber bloß ein mehr oder weniger uninteressanter Neben-effekt ist, weil es bei Pfeifen eben ums Rauchen und nicht ums Anschauen geht. So weit, so gut! Freilich hat dieses allbekannte Bild aber noch einen weitreichenderen Aspekt. Wie hier nämlich der Satz: „Ceci n’est pas une pipe“ gegenüber der Abbildung auftrumpft, da ist doch mitgesagt, dass der Satz, bzw. das in ihm enthaltene Wort pipe zumindest so viel mehr von ihr repräsentiert, dass es Recht und Titel hat, dem Abbild dessen Defekt zur Kenntnis zu bringen. Hier wird dem begrifflichen Ausdruck ein klarer Vorrang vor dem bildnerischen bestätigt und dieser Vorrang stammt nicht erst von Magritte. Vielleicht verwundert es aber doch ein wenig, wenn dieses Statement so deutlich von einem Maler kommt, wobei ich allerdings glaube, dass bei Magritte das Bild eher schon ein Medium ist, also das Ganze eher eine Art intellektuelle Installation auf Leinwand im Sinne postabstrakter Kunst, weniger dagegen ein Gemälde im Sinne bildnerischen Denkens.
  Was die Beispiele der Höhlenbilder und der Magrittepfeife vereint, ist die Annahme, dass es ein wirkliches Ding gibt, was so oder so „wirklich“ aussieht, dann ein Abbild – und eben auch noch ein drittes, nämlich den Begriff, der z.B. dem Abbild zusprechen kann, wie naturgetreu es das Ding da abbildet. Wenn diese Operation, die manchmal sogar von Kunstgeschichtlern recht fröhlich vollzogen wird, gelingen sollte, müsste der Begriff, bzw. derjenige, der ihn zu vergeben hat, einen vollständigeren Zugang zu dem haben, was das Bild abbildet als das Bild selber. Eine so beharrliche Abwesenheit von Erfahrung im bildnerischen Sehen erstaunt mich vor allem deswegen immer wieder, weil sie ja im direkten Umgang mit Bildern auftaucht. Kaum einer der Wissenschaftler, die die sogenannte Naturtreue etwa jener Höhlenbüffel bewundern, hat wohl jemals versucht, einen Büffel in der Natur zu beobachten. Falls er denn diesen Versuch unternehmen würde, müsste er zugeben, dass er entweder die Büffel in der Natur an den Höhlenbildern, soweit er sie im Kopf hat, misst und so die Naturtreue nur in einer Art Umkehrschluss auftaucht. Insofern kann sie damit dann auch nur mehr oder weniger bezweifelt werden. In Wahrheit ist die Sache wohl komplexer und es mischen sich in die Beurteilung auch noch einige Vergleiche der Natur- einerseits und der Höhlenbüffel andererseits mit bereits anderswo gesehenen Bildern von Büffeln. Der umgekehrte Vergleich, also ausgehend von den wirklichen Büffeln scheint mir, bei allem, was ich von Bildhaftem und Abbildhaften bisher erfahren habe, ziemlich undenkbar. Einen originalen Anblick, jenseits und vor allen Abbildungen, der dann als echter Vergleich zwischen dem „wirklichen“ Büffel und dem Höhlenbild dienen könnte, gibt es nicht. Am naheliegendsten erscheint da wohl zunächst der Vergleich mit geeigneten Fotografien, die die jeweiligen Tiere möglichst sachdienlich abbilden.
 
  Allerdings hat auch die Fotografie natürlich ihre Geschichte und die ist eine Bildergeschichte. Aus historischem Blickwinkel betrachtet geht sie ungefähr so: Zunächst zeigen, wie etwa die schon erwähnten Höhlenmalereien, die Bildflächen einzeln voneinander durch nicht bearbeitete Flächen getrennt, verschiedene Figuren. Aber bereits früh kommt es zu Überschneidungen, ein Spieß vor der Brust, Arme vorm Körper usw. Das hat zunächst eher eine ornamentale Ordnung, aber bald danach dienen diese Überschneidungen immer klarer dazu, die Illusion eines Hintereinander entstehen zu lassen. Die Gegenstände erscheinen in einer Art virtueller Distanz zueinander, die nur noch begrifflich lesbar ist. Der Abstand zwischen den benennbaren Gegenständen, der zuvor als gegenstandsfreie Bildfläche noch neben dem Gegenstand eigenständig vorlag, tritt von da an als virtueller Raum in durchsichtiger Leere vor die Gegenstände oder wird hinter ihnen verdeckt behauptet. Wesentlich erscheint mir dabei, dass der durch solche Überschneidungen behauptete Raum dem Bild einen bestimmten Blickwinkel und einen bestimmten Zeitraum zuordnet. Nur innerhalb solcher Koordinaten kann es zu Überschneidungen kommen. Das ist, darauf sei kurz hingewiesen, keine im Mal- bzw. Abbildungsprozess selbstverständliche Anordnung, was dann auch in verschiedensten, oft seltsamen anmutenden Geräten anschauliche Stilblüten treibt. Schließlich werden aus der immer konsequenter zusammengefassten Ordnung solcher Überschneidungen der bzw. die Fluchtpunkte der Perspektive, die einen virtuellen Augenpunkt eines Betrachters ansetzen, wobei diesem Betrachter, das sei nochmal betont, Eigenschaften zugeordnet werden, die jedenfalls nicht selbstverständlich sind. Unter anderen, dass er nur einer ist an einer bestimmten Stelle und nur einen bestimmten Moment lang schaut und zwar in eine bestimmte Richtung. Den Höhepunkt und das Ende dieser Entwicklung bildet dann die Malerei der Renaissance. Sie organisiert die gesamte Methode der Darstellung zum einen mittels einer immer konsequenteren Einteilung der Bildfläche in Maß und Zahl, die schließlich die perspektivisch geordnete Zeichnung hervorbringt, zum anderen mittels einer objektivierten Licht- und Farberscheinung, die an den, diesem Schema zugemessenen, begrifflich fassbaren Gegenstand gebunden ist. In der Folge wird durch das so geordnete Sehen die Herstellung von komplexen optischen Geräten und im Weiteren die vollständige Mechanisierung der bildlichen Darstellung in der Fotografie und all ihren Derivaten möglich. Spätestens mit bzw. in ihr verschwindet, zumindest der Intention nach, die Sichtbarkeit der Bildfläche zugunsten des Dargestellten oder genauer gesagt zugunsten eines virtuell leeren – und das heißt im Bild – durchsichtigen Raumes, in dem das Dargestellte auftreten kann. Zwar haben Fotografien, Bildschirme oder Displays auch eine Oberfläche, aber die hat nichts mit der Bildfläche zu tun. Im Normalfall wird versucht, diese Oberfläche so weit als möglich unauffällig verschwinden zu lassen. Aber auch wo, meist wahrscheinlich aus nostalgischen Gründen, eine Fotografie z.B. auf Hochglanzpapier reproduziert wird, bleibt der Glanz dieser Oberfläche ohne Zusammenhang mit der Farbe der Darstellung. Die gesamte Geschichte der Entwicklung des sogenannten Abbildes von ersten Darstellungen bis hin zur Fotografie und ihren Abkömmlingen ist ein langwieriger, hochkomplexer Vorgang, den ich hier klarerweise nur ansatzweise andeuten kann.
     Auf den ersten Blick scheint nun aber das Gesagte doch den erwähnten Ansichten z.B. der Höhlenkunstforscher rechtzugeben. Ohne diese Entwicklung durchlaufen zu haben, gelang es bereits in der Frühzeit der Malerei, Tiere doch schon recht ansehnlich und ähnlich dem abzubilden, was sich später dann mehr oder weniger als ihr wirkliches Aussehen herausstellen sollte. Allerdings vergleicht man mit solch einem Urteil nur zweierlei Momente der Geschichte des Abbildens. Eine sichtbare „Wirklichkeit“ ist dabei noch nirgends ins Spiel gekommen. Jetzt werden natürlich immer noch viele einwerfen: Lichtstrahlen, gradlinig sich ausbreitende, Linsen, lichtempfindliche Schichten usw. usw. und meinen, damit wäre doch nun wirklich genug Objektivität und Wirklichkeit bewiesen. Direkt und in der gebotenen Kürze lässt sich nach dem bereits Angedeuteten dem wohl nichts mehr entgegnen und auch, dass es ein Sehen ohne eine Erfahrung von gemalten Bildern gibt, steht hier nicht in Frage. Worauf ich versuche hinzuweisen, ist, dass die Unterscheidungen, die das Sichtbare erst so oder so erscheinen lassen, im bildnerischen Denken getroffen werden. Ohne dieses wäre bestenfalls Chaos sichtbar. Allerdings ist das ein rein spekulativer Satz, denn es gibt gar kein „ohne dieses“, dafür sind wir schon zu spät dran. Diese Annahme käme der Frage gleich, was der frühe Mensch gedacht hat – in diesem Falle bildnerisch – bevor er mit dem Denken anfing. Was das Verständnis dieses Hinweises aber ungemein erschwert, ist der umgreifende Anspruch des begrifflichen Denkens, welches gemeinhin mit dem Denken schlechthin gleichgesetzt wird.
  Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ Λόγος, am Anfang war ὁ λόγος, das Wort. Das jedenfalls behauptet dieses selbstbewusst von sich und diese Behauptung ist in sich sicher richtig, wenn auch als Satz nicht vollständig „logisch“ und das seltsame, fugenartig anmutende Wiederholungsspiel der Folgesätze scheint auch nicht vorrangig auf Logik auszusein. Aber ich frage mich trotzdem, wer denn überhaupt wissen will, was am Anfang war? Wer kommt überhaupt auf so eine Idee wie Anfang? Antwort: das ζῶον λόγον ἔχον, also dasjenige Lebewesen bzw. Tier, das den λόγος, das Wort, hat. Hier dreht sich offensichtlich dieser λόγος um sich selber, fragt sich selber und antwortet sich dann selber mit sich selbst als der bereits von vorneherein vorausgesetzten Antwort. Am Anfang war das Wort – am Anfang wovon? Das hätte alles sicherlich als poetischer Ausdruck eine verwirrende Faszination und es liegt mir hier nichts daran, Religionen mit seltsamen Grundsatzfragen zu bedrängen. Allerdings schallt neben aller Poesie, die aus solchen Worten sprechen könnte, doch aus ihnen sofort auch ein ziemlich apodiktischer Ton, der einen Anspruch des Wortes zur Geltung bringt, tatsächlich als Begriff ernst genommen zu werden. Das Wort, zumindest da und immer da, wo es sich als Begriff versteht, braucht eine Wirklichkeit, eine Welt, die ihm als Beweis dienen muss. So ist es! Keine Widerrede! Einerseits gänzlich außerhalb seiner da und doch andererseits völlig in der Reichweite seines Zugriffs. Am Anfang war das Wort. Punkt. Nichts weniger wird von diesen Worten des Johannesevangeliums gefordert. Und dieser Anspruch gilt weit über die verschiedenen Religionen und Weltanschauungen hinaus und er bestimmt unseren heutigen Weltbezug in beinahe allen Bereichen. Es ist mir bewusst, dass ich mich mit solchen Thesen genau innerhalb desjenigen Begrifflichen befinde, auf dessen Beschränktheit ich hinzuweisen versuche. Da besteht immer die Gefahr, dass Argumente als Konsequenzen von anderen Argumenten zu Kausalketten führen und damit das vernebeln, um was es mir hier geht. Ich versuche natürlich, dem auszuweichen, bin mir aber absolut nicht sicher, ob das innerhalb des begrifflichen Denkens überhaupt gelingen kann. Am Anfang war also das Wort – und alles, heißt es dann später, wurde durch das Wort – und weiter: „nicht ein einziges ohne das Wort“, und das spricht in der Tat unmissverständlich aus, was der Begriff vor allem anderen tut: jedes einzelne wird durch ihn dieses eine und nicht das andere. Er vereinzelt, er benennt jedes Einzelne einzeln und trennt es von jedem anderen Einzelnen und stellt es vorher schon einzeln vor sich in die Leere des Raumes. In diesem sind die begriffsbenannten Gegenstände vorhanden, gegeneinander vereinzelt – und gegenüber demjenigen Einzelnen, der das Wort als Begriff zu vergeben hat, dem ζῶον λόγον ἔχον, dem Menschen im Sinne des vernunftbegabten Lebewesens. Diesem leeren Raum, in dem sich die Ordnung des Begreifens ausbreiten kann, entspricht der virtuell durchsichtige Raum der Fotografie und genau in dieser Analogie liegt der Schlüssel dafür, dass wir es so fraglos gewohnt sind, fotografischen Abbildungen, bereits längst bevor wir sie im Detail betrachten, ein sogenanntes „naturgetreues Abbild“ zuzutrauen. „Begrifflich geordnete Darstellung“ träfe den Sachverhalt dessen, was die Fotografie liefert, meines Erachtens genauer, denn die eigentliche Unternehmung der Fotografie ist es, die vom Begriff geordnete, sichtbare Welt nach dessen Vorgaben bildnerisch folgsam abzubilden. Auch das müsste sicher ausführlicher beschrieben werden, aber vielleicht kann es hier genügen, um anzudeuten, wie umfassend der Anspruch des Begriffes ist und wie er gerade auch das reglementiert, was wir für das unmittelbare Aussehen der Welt halten.
  Die Malerei ist freilich nicht mit der Erfindung der Fotografie zu Ende und beschränkt sich auch innerhalb der Geschichte dieser Erfindung nicht ausschließlich auf sie. So fallen unter den vorher erwähnten frühesten Höhlenbildern beispielsweise Darstellungen von Händen (Abb. 1) auf, bei denen sich eine ziemlich stark farbige Bearbeitung der felsigen Oberfläche vorwiegend auf die Negativform beschränkt. Man meint das durch die angewendete Maltechnik erklären zu müssen, aber es ist vor allem insofern bemerkenswert, als sich da ein malerischer Eingriff, aus welchen Gründen auch immer, ausdrücklich zuerst auf die Bildfläche bezieht und aus ihr erst mittelbar einen dargestellten Gegenstand herauslöst, wodurch dieser nicht mehr isoliert im Zentrum des Interesses erscheint, sondern ganz offensichtlich an die ihn tragende Fläche gebunden bleibt. Die Bildfläche nimmt damit ganz ausdrücklich auch da, wo auf sie kein Farbstoff aufgetragen wurde, eine zum nun erschaffenen Bildraum gehörige Farbe an. Zwar war sie auch vor dieser Operation bereits irgendwie farbig, aber das Spiel dieser Farben wird erst durch die Verwandlung der felsigen Oberfläche in eine Bildfläche als solches erkannt. Das geschieht einzig und allein im Erblicken ihrer Farbigkeit. Erst dadurch wird eine weitere und dann gezielte Farbmanipulation überhaupt möglich. Aber auch bei anderen Höhlenmalereien bedingen sich die bearbeiteten und unbearbeiteten Teile der Bildfläche weitgehend gegenseitig und erbringen ein Bildelement erst im Wechselspiel der sich gegenseitig hervorbringenden Farbe. In den felsigen Malgrund sind teilweise Reliefs eingeritzt und nicht nur durch diese Hervorhebung der in sich strukturierten felsigen Oberfläche habe ich kaum Zweifel daran, dass Felsfacetten, Lichtreflexe und Halluzinationen, die diese bewegt schillernde Oberfläche z.B. im Dämmer einer Höhle erscheinen ließ, deutlich mehr zum Auftreten der darauf entstandenen Gebilde beigetragen haben als fleißige Studien lebendiger Tiere im hellen Tageslicht. Um das Spiel aus Schatten, Traum und Farbe bei flackerndem Licht in solchen Visionen festzuhalten, braucht es nur die Felswand, die im Augenblick zur Bildfläche wird und damit jene virtuosen Farbmanipulationen ermöglicht, die auf ihr archaisch Erinnertes langsam immer deutlicher Gestalt annehmen lassen. Ein Naturstudium ist, soweit ich sehen kann, überhaupt erst möglich, nachdem sich die Eigenschaft der Bildfläche, Gestalten zu tragen und erscheinen zu lassen, entpuppt hat.
  Was ich hier zu zeigen versuche, ließe sich an allerlei Beispielen weiter vertiefen, ich möchte aber gleich mitten in die Zeit der vollkommen beherrschten Perspektive und ausgefeilten Lichtführung springen – bis hin zu Vermeer. Viele Kunstwissenschaftler sind überzeugt, dass er bereits den Vorläufer des Fotoapparates – die Camera obscura – benutzt hat und mir scheint das durchaus einzuleuchten. Aber was sagt das, wenn wir uns seine Gemälde anschauen? Stellen Sie sich doch einmal die Spitzenklöpplerin (Abb. 3) fotografiert vor – auch wenn mir nichts Derartiges bekannt ist, halte ich es für wahrscheinlich, dass irgendjemand sich daran versucht hat. Aber es geht hier gar nicht um den wirklichen Vergleich, sondern nur um den Hinweis wie „malerisch“ z.B. dieses Bild ist. Farbe, aufgetragen auf der Gewebestruktur der Leinwand und wieder weggekratzt. Das Webmuster ergibt Lichtpunkte, daneben solche Punkte mit pastoser Farbe aufgetüpfelt, eine Kontur verwischt, daneben die andere mit fast skizzenhaftem Strich klar nachgezogen. Eine Beschreibung der maltechnischen Raffinessen in diesem Bild könnte noch vieles aufzählen, aber das sind eben die Handwerksdinge, die haben ihren Zweck, es geht dabei doch um das Bild, vielleicht genauer um seinen sogenannten Ausdruck. Also was soll denn das jetzt wieder sein? Ist der Gesichtsausdruck der Frau gemeint? Wenn wir den genauer betrachten, kann es darum eher nicht gehen, das meiste im Schatten, die Augen bedeckt, der Mund kaum mal drei angedeutete Pinselstriche? Die Körperhaltung? Bei der Arbeit sitzend, auch dabei eher wenig Erwähnenswertes. Aber wenn Sie mal Gelegenheit haben, es reicht eine mittelmäßige Reproduktion, schauen Sie nochmal hin. Da ist eine Ruhe und Entrücktheit, die wenig mit den dargestellten Einzelheiten, alles aber mit einem seltsamen in sich selber Ruhen der Gesamtheit des Gemäldes zu tun hat. Es gibt keine Argumente, die so etwas beweisen könnten, aber sehen lässt es sich dann leicht, wenn keine bildfremden Gedanken stören. Ruhe leuchtet aus jeder dieser zusammenmanipulierten Farbflächen, weil jeweils gegenseitig die eine die andere ergibt. Keine Farbe, die selber auftrumpft ohne ihre Nachbarn. Jede Form Bedingung und Begleitung für die andere. Das Bild ruht unveränderbar und unberührbar in seiner Bildfläche. Ein vor oder hinter dieser Fläche gibt es nicht – genauso wenig wie ein Vorher oder Nachher. Falls bei der Verfertigung eine Camera obscura benutzt wurde und jedenfalls obwohl alle Regeln der perspektivischen Zeichnung eingehalten sind: Illusionsraum wie in der Fotografie mit dem ihr eigenen Verschwindenlassen der Bildfläche findet sich hier nirgends und auch nicht ihr Momentanes. Ich will hier keine kunstgeschichtlichen Beschreibungen zitieren, aber die meisten, die mir bekannt sind, beschäftigen sich neben Modefragen, Fragen der Gesellschaft und des allgemeinen Lebens zu jener historischen Zeit vorrangig mit der Person des Malers und versuchen aus dieser das seltsame Gebilde eines solchen, in sich ruhenden Gemäldes zu erklären und mit Begriffen zu erfassen. Im verborgenem Inneren des Malers, seit der Renaissance immer mehr „der Künstler“, was ihn zu einem unvergleichlichen Wesen macht, waltet eine unerklärliche Schöpferkraft, die ihrerseits nun das Gemälde erklären und soweit als möglich in Begriffe fassen soll. Soweit der barocke Vermeer als eine, mehr oder weniger austauschbare Station in meinen Betrachtungen.
  Unumgänglich scheint es mir hier dagegen, an die sogenannte abstrakte oder gegenstandslose Malerei zu erinnern. Sie stellt, wenn ich das richtig sehe, ein Phänomen dar, das das, was seitdem Kunst heißt, zwar nachhaltig verändert hat, in seiner Urform aber wenig weiterführende Bedeutung erlangte und, von Randerscheinungen abgesehen, ziemlich schnell wieder verschwand. Der Rest wurde umgedeutet und konnte selbst von seinen Urhebern in seiner Eigenart kaum ansatzweise erfasst werden. Bald wurde, was da aufzuscheinen sich anschickte, in meines Erachtens wesensfremde Begriffe gefasst, die das eigentliche Phänomen weitgehend verdeckt haben. Die abstrakte Malerei hinterließ, auch wenn, wie gesagt, ihr eigenes Erscheinen im Kern nur von kurzer Dauer und von relativ geringem Umfang war, in dem, was seitdem „Kunst“ heißt, so deutliche Spuren, dass dieses Wort von da an eine stark veränderte Bedeutung hat. Obwohl nun innerhalb der sogenannten bildenden Kunst Begriffe, Konzepte, Erklärungen und sprachliche Beschreibungen eine immer größere Rolle zu spielen begannen, wirkt der Begriff „Kunst“ selbst heute unscharf abgegrenzt und seltsam dehnbar – oder vielleicht gerade deshalb. Ohne das Korrektiv der Darstellung, das heißt die Orientierung an irgendeiner Art begrifflich gegenständlicher Ordnung, die man in der Malerei vorher annehmen durfte, blieb zunächst nur ein geheimnisvoll unmittelbarer Umgang des Malers mit der Bildfläche, der schnell einseitig der jeweils individuellen Kreativität eines Künstlers zugeschrieben wurde. Dieser war ja, wie ich schon versucht habe anzudeuten, seit der Renaissance immer ausschließlicher als die urschöpferische Quelle der Kunst in Erscheinung getreten. Die andere Seite, die Bildfläche wird bald kaum mehr beachtet und die abstrakte Malerei wird immer weniger von ihrem Bild-Sein, dafür mehr von ihrem Kunst-Sein her verstanden. Abstraktion jedenfalls zeigt sich als eine Art Verdichtung, Konzentration auf das Wesentliche – und zwar eben nicht mehr eines dargestellten Gegenstandes sondern der Kunst oder jetzt besser „des Künstlerischen“. In diesem Zusammenhang erscheinen zwar dann zunächst einige disparate Inhalte, die sich politisch, psychologisch oder, was auch immer das heißen mag, ästhetisch oder auch noch in vielfältig anderer, schwer zu definierender Weise verstehen. Das eigentlich Entscheidende findet sich aber nicht in diesen Inhalten, sondern in dem, was im Wort „das Künstlerische“ schon anklingt, nämlich im Künstler, das heißt im autonomen Hervorbringer dieser jeweiligen Inhalte. Er wird zu einer Art exemplarischem, weltschöpfenden Subjekt, welches seine „Sichtweise“ von verschiedenen Begriffszusammenhängen darstellt, die aber letztlich wiederum zurücktreten vor dem eigentlichen Inhalt, d.h. seiner Erfahrung, Sichtweise und Darstellung des Subjektseins selber. Die Mittel der Darstellung beschränken sich nicht mehr auf Bildhaftes, sondern entspringen dem jeweils Darzustellenden und umfassen in der Folge eine kaum überschaubare Zahl von Medien. Die Komplexität dieses Subjektseins als eigentlicher Inhalt fordert möglichst umfassende Ausdrucksweisen und die gewählten Ausdrucksformen verdienen nur unter diesem Gesichtspunkt eigens Beachtung. Wichtig erscheint mir hier noch einmal, dass Subjekt-Sein, bei aller Apotheose des Ego zuerst heißt: Vereinzelt-Sein – und zwar nicht nur gegenüber anderen Subjekten, sondern auch getrennt von allem anderen. Daraus entspringt wahrscheinlich das einzige, überall wiederkehrende Kriterium in der Beurteilung moderner Kunst bzw. des modernen Künstlers: seine Originalität. Das Verhältnis von Kunst und Künstler hat sich – lang vorbereitet – jetzt endgültig umgekehrt und diese Umkehrung geht, soweit ich sehe, zunächst vorrangig von der Bildkunst aus. Nicht mehr der, der Kunst hervorbringt, heißt deshalb Künstler sondern das vom Künstler Hervorgebrachte heißt wegen dieser seiner Herkunft Kunst, was konkret besagt, dass die grundsätzliche Entscheidung nicht darüber fällt, ob etwas Kunst, sondern ob jemand Künstler ist. Das klärt natürlich die inneren Kriterien dafür zunächst in keiner Weise, ist aber an sich ein bemerkenswerter Schritt.
     Vom gemalten Bild bleibt in diesem Zusammenhang nur die Aura seines einstigen Hervorbringers, heute Künstler als Modellindividuum. Bilder entstehen, zahllos und jederzeit, wie bereits vorher angedeutet, durch die allgegenwärtige Fotografie und ihre Derivate, die in ihrem virtuellen Raum die begriffliche Wirklichkeit anschaulich und adäquat darzustellen vermögen. Das Gemälde erscheint so gesehen als kulturhistorisch notwendige Vorstufe von Errungenschaften, die in der Gegenwart seine Rolle übernommen haben und es führt als in Museen aufbewahrtes Kulturgut, elitär-esoterischer Wertgegenstand oder dekorativer Wandbehang eine relativ unbedeutende Randexistenz.
     Eine solche Sichtweise nimmt Gemälde als irgendwie vorhandene Gegenstände, ihr Wesen als Bildblick spielt dabei keine Rolle, denn dazu müssen Gemälde in ihrem Bildsein angeschaut werden, d.h. in der jeweils aktuellen Helle eines sehenden Augenblickes erscheinen. Für den Betrachter zeigen sich Bilder in ihrem ganzen Wesen immer nur im Augenblick des Anschauens, kaum wendet er den Blick ab, fehlt, auch wenn er vieles gut im Gedächtnis behält, ein entscheidender Aspekt. Das gilt natürlich, vielleicht weniger beachtet und weniger ausdrücklich für alles Angeschaute und darüber hinaus in den verschiedenen Weisen für jedes Wahrgenommene. Aber auch dem aktuellen Sehen gegenüber bleiben Gemälde merkwürdigerweise immer irgendwie fremd, abweisend und unzugänglich. Mit dem Wort „vollendet“ soll Kunstwerken und also auch Gemälden im Allgemeinen ein hohes Lob ausgesprochen werden. Aus meiner Sicht weist das Wort allerdings auf eine Eigenschaft von Gemälden hin, die jedem Lob von Seiten eines Betrachters schon zuvorkommt. Sie brauchen den Betrachter nämlich nicht. Sie ruhen in sich und obwohl sie jeweils nur kleine Szenen und Ausschnitte des Sichtbaren zeigen, kennen sie in sich keinerlei Vereinzelung. Ein Bild bleibt jeweils ganz, unverändert und bei sich, es bleibt Bild – und damit Augenblick des Sehens – auch jenseits eines aktuellen Angeschautwerdens. Dieser Eindruck entspringt keiner Deduktion, noch ist er sonst irgendwie beweisbar. Aber an der inneren Ruhe und Abgeschlossenheit eines Gemäldes lässt sich eine merkwürdige Zeitferne oder Zeitlosigkeit sehen, die meines Erachtens deutlich auf diesen seltsamen Umstand hinweisen. Ich denke, dass diese Behauptung einigen Widerspruch oder doch zumindest viele Fragen aufwerfen wird, die sich allerdings nicht theoretisch und begrifflich klären lassen. Vielleicht kann eine kurze Betrachtung von Bildern wiederum einer jener großen Namen der Kunstgeschichte das noch etwas weiter klären. (Auf Namen und Kunstgeschichte lasse ich mich hier einfach der gebotenen Kürze wegen ein, obwohl ich überzeugt bin, dass diese Ordnungskriterien Gefahr laufen, wesentliche Aspekte der Malerei zu verdecken oder zu übersehen.)
     Vielleicht sind die Bilder, von denen ich jetzt sprechen möchte, etwas weniger bekannt, als die bisher zitierten aus den Vorzeithöhlen oder von Magritte und Vermeer, aber ich denke, die meisten werden zumindest das eine oder andere davon schon einmal gesehen haben und ich bin natürlich davon überzeugt, dass es sich lohnt diese Werke bei Gelegenheit mal wieder anzuschauen. Ich spreche von den Zeichnungen und Gemälden Paul Klees aus seinen letzten Lebensjahren. Kunstgeschichtlich muss dieses Spätwerk jenseits der gegenstandslosen Malerei angesiedelt werden. Es ist offensichtlich weder gegenständlich noch abstrakt. Die Zeichnungen, die ich hier ansprechen möchte, tragen alle ziemlich ausführliche Titel und ich beziehe mich zunächst hauptsächlich auf einige aus einer Reihe, in der das Wort „Engel“ immer wieder in diesen Titeln auftaucht: „Vergesslicher Engel“, „Engel, noch weiblich“, „Zweifelnder Engel“ (Abb. 4) etc. In einer ähnlichen Serie aus dieser Zeit findet sich immer wieder das Wort „weiland“, „weiland Philosoph“, „weiland Pauker“ usw. Offensichtlich hat Klee die Titel den Werken erst nach ihrer bildnerischen Fertigstellung gegeben (nur zwei oder drei wurden erst posthum – also nicht von Klee selber – betitelt) und sie scheinen mir den Blättern einen möglichen begrifflichen Interpretationsraum eher zu nehmen als zu geben, sagen diese Worte doch vor allem: Nicht oder nicht mehr aus der Welt der Wirklichkeiten – kurz: es sind Worte, die Bildhaftes bezeichnen und nicht Szenen oder Gegenstände, die auf Bildern dargestellt sind, die es aber auch außerhalb der Bilder gibt. Die Zeichnungen aus der Serie der Engel bestehen aus ganz wenigen, einfachen Linien, die, in sich selten vibrierend, unprätentiös auf das Papier gezogen sind. Aus Klees letzten Jahren gibt es eine große Zahl dieser Zeichnungen und nur relativ wenige Gemälde. Das mag auch seinem prekären Gesundheitszustand in jenen Jahren geschuldet sein; dennoch zeigen diese Blätter grade in ihrer zeichnerischen  Reduktion das, was ich hier mit dem Wort Bildfläche zu umschreiben versuche, sehr deutlich und eindringlich. Nur wenige Linien auf Papier und die ohne jeden Bezug zu einem Außerhalb. Das verschlägt erst mal inhaltlich jeden Kommentar. Aber hier lässt sich das bildnerische Denken im Bau der Bildfläche in einer seiner einfachsten Varianten so unverstellt sehen, dass ich doch versuchen möchte, diesen Prozess in Worten vorsichtig zu umschreiben: Die Linie eröffnet die Fläche, indem sie auf ihr Flächen begrenzt. Das Papier wird Bildfläche. Die in diese Bildfläche hinein geteilten Flächen begrenzen sich gegenseitig und ergeben als diese Grenzen jeweils die Linien, eines dank des anderen und in vollständiger Zugehörigkeit zum Ganzen des Bildraumes, der sich im Zusammenspiel der aus ihren Teilen gefügten Bildfläche ergibt. Das Ganze entsteht durch die Teilung, aber die Linie, die als aktiv eingezeichnete Trennung auftritt, erscheint zugleich als von den durch sie umgrenzten Teilen bedingt. Sie, also das Begrenzende, ist das, was als Vereinendes das Begrenzte, also die Teilflächen trägt und zusammenbringt, indem sie sich aus diesen ergibt. Allerdings ist sie als gezeichnete Linie auch eine Art Gerippe, das die Bildfläche als Zeichenfläche unbestimmt farblos erscheinen lässt. Das Papierweiß ist hier nicht als sein eigener, heller Farbton gedacht, sondern zeigt eine abwesende Farbigkeit. Durch diese ausdrückliche Abwesenheit von Farbe wird die Bildfläche aber nicht etwa durchsichtig wie bei Fotografien, sondern es taucht ein abstrakter, vorläufiger oder summarischer, aber völlig klarer Gedanke des Bildraumes auf. Das heißt nicht etwa, dass die Zeichnung immer als eine Art Vorzeichnung gedacht wäre und damit jeder der Teilflächen in jedem Fall ein bestimmter Farbton zugeordnet werden sollte. Aber dennoch ist die Linie eine Art aufgespürter Schnitt im durch diesen Schnitt aufgerissenen Bildraum, den sie selber mittels seiner inneren Grenzen anzeigt und damit das Spiel der Farbe anspricht, ohne es definitiv auszusprechen. Die Facetten dieses Spiels sind in ihrem sich voneinander Absetzen angezeigt, wodurch die eigentliche Eigenschaft der Farbe erscheint, ohne dass ein konkreter Farbton oder Farbort angegeben wäre. Farbe gibt es nur als das sich mit sich selbst Begrenzen des Sichtbaren. Das, was ungenau meist mit dem Wort „Farbe“ bezeichnet wird, also der Farbton, kann nie einzeln existieren. Zwar gibt es sogenannte „monochrome Bilder“, aber die werden, so groß können sie gar nicht sein, sofort zu Objekten und nehmen Bezug auf Angrenzendes, was ein Bild, wenn es denn ein solches ist, von sich aus niemals tut. Farbe ist immer in sich ein sich mit sich selbst Begrenzen, und nur weil das so ist, ist überhaupt Malerei möglich. Aber auch jeder sichtbare alltägliche Umraum bzw. der Blick auf ihn, ist überall von Farbe begrenzt. Über die Farbe kann nirgends hinaus, durch sie nicht hindurch geschaut werden – und nur weil in der Farbe als Spiel der „Farben“ die Bildfläche und die jeweils farbige Grenze des sichtbaren Raumes miteinander übereinkommen, ist ein Abbilden, gleich wie weit es Begriffsordnungen folgt, überhaupt möglich. Auch die Zeichnung ist ohne die Grenzen der sich mit sich selber begrenzenden Farbe undenkbar und unsichtbar. Allerdings sind in der Zeichnung diese Grenzen nicht etwa die zwischen den „Farben“ Schwarz und Weiß, sondern die Linie gibt Grenzen innerhalb des Spielraumes der Farbe an, ohne sie farbig zu benennen.
     Konkret illustriert zeigt sich das hier Angedeutete etwa in dem Gemälde „Angelus Militans“ (Abb. 5). Auch dieses Bild wird von bestimmenden schwarzen Linien in einer Weise unterteilt, die der der Engelszeichnungen deutlich verwandt ist. Die eingeteilten Flächen sind hier farbig ausgeführt und ihrerseits in sich nur einfach differenziert. Aber zugleich zeigen sich jetzt auch die Linien selber deutlich als dunkle, schmale Flächen, als ausgesparter Zwischenraum, der sich ergibt durch die von ihm begrenzten helleren Farbflächen. Sie bilden so gleichwertig sowohl das teilende Netz als auch den tragenden, dunklen Grund für die Farbformen, denen sie sich verdanken und die andererseits von ihnen umrissen werden. Jede Linie, jede Form und jeder Farbton sind jeweils gegenseitig der Grund für jedes andere Bildelement und das so gebildete Ganze zeigt die in sich ruhende Bewegtheit des Spiels der Farbformen als ursprünglichen Raum des Sehens. Erst aus diesem Raum ergeben sich dann Gebilde, die als Gestalten gedeutet die Worte des Titels anklingen lassen. In den hier angesprochenen Werken Klees zeigt sich ein dermaßen begriffsfernes und zugleich klar strukturiertes, bildnerisches Denken, wie es in solcher Eigenständigkeit wohl selten zu finden sein dürfte. Wer sich auf eines dieser Werke sehend einlässt, kann wohl kaum mehr daran zweifeln, dass es ein solches bildnerisches Denken völlig ohne Rückbindung an den Begriff gibt. Wenn wir Worte wie Farbraum, Bildraum, Bildfläche und Sehen nicht als Begriffe analysieren, sondern das, was sie zu sagen versuchen, uns im Konkreten eines Gemäldes vor Augen führen, bilden sie ein unauflösbares Ganzes. Bei der Entstehung des Bildes versucht das bildnerische Denken, von diesem Ganzen als Resultat ausgehend, sehend die Auswirkungen der jeweilig einzelnen Farbmanipulation auf die gesamte Bildfläche zu überblicken. Je umfassender im Laufe der Arbeit die Ausstrahlung jedes Eingriffes in die Bildfläche gesehen wird, umso weiter öffnet sich der Bildraum eines Gemäldes. Idealerweise ist ein Gemälde in dem Augenblick vollendet, in dem alle Flächenelemente wechselseitig zusammenspielen und in diesem Spiel Bildraum und Bildfläche eins werden. Je klarer der Betrachter die Einheit von Bildfläche und Bildraum sieht, umso unmissverständlicher wird ihm der Zugang in diesen Raum verwehrt und auch sein Einblick bleibt begrenzt. Das gilt in ähnlicher Weise, wie ich schon versucht habe anzudeuten, auch für den Maler. Auch er gewinnt nicht etwa durch die fortschreitende Arbeit Zugriff auf das Bild, sondern je näher er dem in der Bildfläche sich öffnenden Bildraum kommt, desto mehr verschließt dieser sich und lässt im günstigsten Fall seiner Vollendung keinerlei Berührung mehr zu.
     Von einigen, sehr partiellen Überlegungen, die vielleicht in ähnliche Richtungen gehen, einmal abgesehen, stehe ich, soweit mir bekannt ist, mit einer solchen Betrachtung zum bildnerischen Denken ziemlich alleine da. Die Kunstgeschichte versucht – notwendigerweise, wie ich glaube – trotz ihrer in neuerer Zeit immer disparateren Ansätze, vorrangig eine jedenfalls in Begriffen erzählte Geschichte zur Voraussetzung für das Bildnerische zu erklären und dies, soweit ich das einzuschätzen vermag, in der Absicht, das Unzugängliche des in die Ruhe der Bildfläche eingelassenen Gemäldes doch irgendwie wieder des Lebendigen zu verdächtigen, um auf diese Weise in der Bildfläche Zugänge für den Begriff aufzubrechen. Und schließlich bewegt sich ja auch dieser Aufsatz, der versucht eine gleichberechtigte Autonomie des bildnerischen Denkens dem Begriff gegenüber anzudeuten, in seiner Sprache auf dessen Terrain.







Das Eigenartige der Malerei 1)
Eine Fahrt ins Blaue kann in überraschende Gefilde führen und weiter und weiter, ohne dass man ein konkretes Ziel vor Augen hat. Wenn einer einfach so ins Blaue hinein – redet, ist das schon weniger angenehm. Er hat offensichtlich überhaupt nicht im Blick worüber er redet.
Ich gehe recht gern ins Kino, oft allein, aber natürlich oft auch mit Freunden oder Bekannten und da überfordert es mich und es ärgert mich dann auch, wenn schon unmittelbar nach Ende des Films versucht wird - vielleicht auch noch wertend - darüber zu reden. Noch weitaus mehr gehen mir die auf die Nerven, die schon während der Vorstellung ihre Kommentare nicht zurückhalten können. Selbst bei einer so relativ unbeschwerten Art von Abendvergnügung, wie es das Kino für mich darstellt, brauche ich einfach Zeit, – Zeit in der das Erfahrene gerade nicht und überhaupt nicht da ist, um es irgendwie ankommen und sich setzen zu lassen. Vielleicht ist mein Gehirn da etwas träge.
Was aber die Malerei angeht, höre ich natürlich sehr aufmerksam – und das seit Jahrzehnten – auf das, was von oder über Gemälde gesagt wird. Ich will hier einmal von ein oder zwei, schwer einzuschätzenden, Ausnahmen absehen. Ansonsten aber war alles, was unmittelbar im Anblick von Gemälden und aus deren Anschauung heraus gesagt wurde, in Wahrheit völlig ins Blaue hinein gesprochen, also so, als ob das jeweilige Gemälde gar nicht da wäre. (Man kann natürlich schauen, nach Hause gehen und dann zurückkommen – aber das nenne ich dann eben nicht mehr unmittelbar.)
Das Gesagte ist mir deshalb wichtig, weil ich der Überzeugung bin, dass es eine entscheidende Eigenart von Gemälden ist – und das gilt umso mehr, je meisterlicher sie sind –, dass sie einerseits sichtbar sind, und das heißt, dass sie angeschaut werden können, dass andererseits aber auch sofort klar ist, dass sie – als Gemälde – sich nur im Anschauen zeigen und jede andere Beschäftigung mit ihnen an ihrem Eigensten völlig vorbeigeht und weiterhin noch – und auch das wird schon im allerersten Augenblick klar –, dass sie unabänderlich und abgeschlossen sind und das heißt auch, dass sie eine eigenartige Verschlossenheit oder Unzugänglichkeit an den Tag legen.
Ich meine, dass es dieser Gegebenheit, also dass die drei erwähnten Eigenarten nicht drei verschiedene Sachen sind, die eine Abfolge oder gar Rangordnung aufweisen könnten, sondern im selben Augenblick als ein und dasselbe erscheinen,  dass es also dieser Gegebenheit anzulasten sein dürfte, wenn die folgenden Ausführungen nirgends wirklich weiterführen und keinen fortschreitenden Aufbau aufweisen können.
Auf die Gefahr hin, dass Sie es für eine bloße Skurrilität halten, möchte ich Ihren ­Blick zunächst ganz kurz in eine Gefängniszelle führen. Es genügt für das, was ich damit zeigen möchte, eine schemenhafte Vorstellung: Kein Ausblick, kahle Wände und unbeholfen darauf Gekritzeltes. Das ist höchstwahrscheinlich keine Kunst – aber zweifelsohne eine Art von Malerei. Die Zelle ist im Moment unbelegt, aber es war offensichtlich jemand da – und der war „drinnen“ und damit nicht „draußen“. Aber es gab, und es gibt dieses „Draußen“ – und es gibt die Wand, die beides voneinander trennt; ihrem Zweck entsprechend ist sie hart und undurchdringlich. In dieser Undurchdringlichkeit eignet sie sich, die Schnittfläche zu bilden, die das Zugängliche vom Unzugänglichen scheidet und es ist dieselbe Undurchdringlichkeit, aus der heraus sie zur Oberfläche wird, die diese Kritzeleien tragen kann. In Räumen, in denen solche Oberflächen zusammenrücken, bestimmend und dadurch oft bedrückend werden, also eben in Gefängniszellen, in Toiletten, auch in Höhlen findet sich häufig in irgendeiner Form Gemaltes an den Wänden. In Höhlen wohl nur, wenn sie bewohnt waren – in Wohnungen heute hängen Gemälde an den Wänden.
    Malerei braucht unabdingbar einen Gegenstand mit einer Oberfläche, der sie trägt. Er muss also hart sein, jedenfalls hart genug um die Spuren des Mal- oder Zeichengerätes aufzunehmen und bewahren zu können; und er ist undurchsichtig. Durch Glas kann zwar Licht fallen, aber wo Sie durchschauen können, ist es keine Malerei. Luft ist ungeeignet, Flüssigkeiten wohl ebenfalls, aber auf so gut wie alles andere kann gemalt werden.
Wechseln wir jetzt den Schauplatz: Ein Museum, eines der seltenen schönen vielleicht: Hohe, helle Räume, vor den Fenstern erstreckt sich ein weitläufiger Park, wenige Bilder an den Wänden, wenige Menschen, Stille. – Ein Bild (Abb. 6): Sie schauen es an. Es ist nicht groß, schon dadurch das Dargestellte seltsam entfernt: Kleine, in Lumpen gekleidete Figuren in einer dunklen – Gast? – stube offensichtlich, die wüst aneinander zerren und aufeinander einprügeln. Verstreute Spielkarten, verschüttetes Bier. Sie brauchen aber keine Angst zu haben, um Sie herum herrscht weiterhin die helle Stille, es riecht nach Sauberkeit, Sie werden nicht in diese Schlägerei verwickelt werden. Das auf dem Gemälde eröffnet sich Ihnen im Anschauen und es ist sofort unbezweifelbar klar, dass sich das alles nur im Anschauen eröffnet. Und falls es Ihnen gelingt, das Bild nicht sofort mit Fragen zu überfallen, wird darüber hinaus klar, dass diese Gestalten unheimlich ruhig und selbstvergessen in die wütend verzerrten Bewegungen der Schlägerei gebettet sind: Will sagen, dass sie von Ihnen überhaupt keine Notiz nehmen. Die ganze Szene ist so gemalt worden, d.h. so durch den Blick des Malers hindurchgegangen, hat sich in diesem so gebildet und verfestigt, – so und nicht anders – und seitdem ruht sie in sich. Und es tut für das Gemälde offensichtlich nichts mehr zur Sache, ob es danach noch darüber hinaus von jemandem angeschaut wird oder nicht. Es ruht ganz – von seiner Umwelt unbetroffen – in sich, ist längst zu sich gekommen, hat sein Eigenes und kümmert sich nicht um Sie. Selbst wenn und wo der Maler etwas anderes beabsichtigt hätte: jetzt ist es so – und es ist ihm ganz eigenartig, fast beleidigend gleichgültig, ob es angeschaut wird oder nicht.
Eine derartige Unnahbarkeit ist wohl für die Meisten und meistens schwer auszuhalten. Der Blick neigt dazu abzugleiten: Ein Schildchen mit Namen und Jahreszahl – die Aufmerksamkeit wendet sich vom Sehen ab und versucht woanders mehr Antworten zu finden: der Maler und seine Zeit, soziale, politische, wirtschaftliche oder theologische Hintergründe – vielleicht auch medizinische Gesichtspunkte: Übelkeit, die das Einatmen von Bleiweißpigment verursachen kann oder die Versorgung Verprügelter zu jener Zeit in jenem Land – das führt in überraschende Gefilde und weiter und immer weiter, dem sind keine Grenzen gesetzt… So können Sie es, wenn Sie wollen, vielleicht bis zum Kunstwissenschaftler bringen – aber das Bild ist weg! Oder Sie wenden sich, ohne in solche Studien abzugleiten, ganz einfach ab, weil Ihnen Spelunken nicht zusagen, weil Ihnen Barock zu barock ist, oder weil Sie sich wieder einmal eingestehen müssen, dass Sie mit Malerei im Grunde noch nie etwas anfangen konnten. Ob Sie Demut oder Überheblichkeit an den Tag legen ändert nichts: auch so ist das Bild weg!
Aber heute, hier steht ja ein Maler vor Ihnen. Der sollte Ihnen doch weiterhelfen können. Weiterhelfen hinein in diese eigenartige Welt der Bilder. Einmal ganz abgesehen davon, wie weit nun seine Autorität auf diesem Gebiet reicht – er ist es doch, der solche Sachen ans Licht bringt: aus seiner Inspiration und seinem Talent, Eingebung und Erleuchtung – oder handelt es sich mehr um Studien und Kalkül, Erfahrung und Erlerntes. Nein! Ich versichere Ihnen aus all dem kommt es nicht – all das sind Worte, Begriffe, und hier geht es nicht um Worte. Zu Zeiten gibt er sich, als wisse er – der Maler – gar nicht, was er will, zu Zeiten weiß er es ganz genau. Aber auch dann kann er es Ihnen nicht sagen. Nicht weil er sprachlos wäre, sondern weil es nicht um Worte geht. Es geht um Bilder. Und Bilder sind überall, wohin er, wohin Sie, auch schauen: Vor dem Fenster, im Auto, im Dunklen, im Glanz, in der tiefgeschichteten Himmelsluft, in der Erinnerung wie in der Sehnsucht – aber ungreifbar, schwebend, manchmal umdrängen sie einen, dann wieder halten sie sich zurück, warten und lassen auf sich warten, bleiben ungreifbar, bei genauerem Hinsehen verflüchtigen sie sich, verblassen in der Erinnerung und werden und bleiben unsichtbar. Er möchte sie aber sichtbar halten, sichtbar machen, sie sehen oder wieder sehen. Ein nicht gewählter, im Ganzen unsteuerbarer Drang: fraglos klar und völlig unerklärlich! Der bedingt, durchwirkt die ganze Zeit die Arbeit. Irgendwo anfangen und diesen Anfang verwerfen und neu anfangen und wieder und wieder, bis man nicht mehr von anfangen sprechen kann; abwägen, hinzufügen, aufbauen, sich in Konstrukte verrennen und das Bild aus den Augen verlieren, ohne es je vor Augen gehabt zu haben; und alles verwerfen und auf irgendetwas warten – und der Papierkorb füllt sich, es fehlen entscheidende Bindeglieder, phantasieren – und mit Recht und aus Erfahrung der Phantasie misstrauen, sich also zu erinnern versuchen, wieder warten, den Kopf voll mit definitiv völlig Unbrauchbarem und gleich darauf den Kopf leer wie ein Hochstapler; und wenn scheinbar einmal ein brauchbarer Gedanke auftaucht, kommt zugleich eine Erkältung, oder der Auspuff muss geschweißt werden – und alles ist wieder weg. Und neben all diesen nutzlosen Anstrengungen, und während er verzweifelt und sich für unfähig hält und stur und blödsinnig weiterarbeitet und weiterarbeitet und nur noch eines sicher weiß: es soll endlich fertig werden – aber das heißt auch vollendet – während all dem und eigenartigerweise völlig unbemerkt schleicht sich irgendwie das Bild ein. Das wird erst im Nachhinein klar, es gibt überraschenderweise einen Augenblick, in dem es umschlägt, das heißt sich nicht mehr nur entzieht, sondern anfängt sich zu verfestigen. Die Arbeit wird ab dann etwas vorhersehbarer, einfacher und vergnüglicher. Jedes Teil und jedes Detail müssen noch oft vor und zurück durch den aufmerksamen Blick hindurch, – das Ganze muss noch oft im Anschauen gewogen und verdreht werden. Und bis zum Schluss hält es der Konflikt in Bewegung, der die schwebend-vorschwebende Farbe als leuchtend geschichteter Raum einerseits der schwer lastenden, schier sturen Eindeutigkeit der Farbe als träges, stumpfes Material andererseits, entgegensetzt. Bis in die letzten handwerklich-technischen Manipulationen bleibt dieser Konflikt der Antrieb, die unumstößliche Abgeschlossenheit erst in der äußersten Vollendung anzuerkennen. Aber je weiter schließlich im Material alle gesehenen Beziehungen festgehalten sind, desto unverrückbarer wird alles und es lässt sich schließlich nichts mehr ändern. Und dann ist es fertig. Man sieht ihm zwar überall ganz deutlich und zweifelsfrei an, dass es gemacht, gemalt ist; aber ab dem Augenblick, in dem es fertig ist, könnte keiner mehr sagen, worauf eigentlich die ganze Zeit der Arbeit verwendet wurde. Es ist nichts Besonderes; es schaut so aus als hätte es schon immer so ausgesehen und es scheint ganz offensichtlich von vornherein klar gewesen zu sein, dass es so werden würde, wie es jetzt aussieht. Im Nachhinein zeigt es die ganze Zeit der oft rührend ungeschickten Anstrengungen, es zu vollenden, nicht mehr oder zumindest, was ja nichts anderes bedeute – ganz und gar verwandelt. Es bleibt unergründlich, woher das Zögern und Irren kam. Vielleicht hat es noch nicht die Vollkommenheit, die wir manchmal ahnen können, aber es lässt keinerlei Änderung mehr zu. Es ruht in sich und hüllt sich in Schweigen: es ist ein Bild, ganz gesehen und somit vollendet. Es hat den Maler hinter sich gelassen und der ist froh, es hinter sich zu haben – kann Ihnen aber auch nicht mehr dazu sagen. Die Herkunft des Bildes bleibt völlig undurchschaubar und sobald es da ist, ist es auch schon abgeschlossen, verschlossen und unzugänglich. Auf die Welt, in der immer eines durch das andere Zweck und Wert erlangt und jeder in zahlreichen Beziehungen und Zusammenhängen weiter will und weiter muss, hat es keinerlei Einfluss; aber auch zur Kontemplation oder als Meditationshilfe eignet es sich nicht besser als jeder beliebig hingeschüttete Müllhaufen. Es ist zwar in eigenartiger Weise irgendwie da, – und kann in all seinen Schattierungen angeschaut werden, so wie es in all seinen Bereichen und inneren Bezügen durch den Blick des Malers hindurch sich in dessen Sehen gebildet und gefestigt hat. Aber der in ihm erblickte Raum, seine Herkunft und damit der ihm eigene Ort bleiben im Ganzen verschlossen – und darin bleibt auch die für seine Entstehung gebrauchte Zeit unzugänglich, wie alles Gewesene. – Sie können es jetzt in den Schrank legen oder in Triumphzügen umhertragen. – Sie können es, wenn Sie Glück haben, verkaufen oder irgendwann einmal beim Entrümpeln wegwerfen. Das ändert alles nichts mehr.
Kehren wir aber jetzt noch einmal kurz ins Museum zurück. Das Gemälde von vorher hängt immer noch an der Wand. Vielleicht sind einige Jahre vergangen und es wäre denkbar, dass Sie manches auf dem Bild anders in Erinnerung hatten. Aber Sie sehen sofort, dass das Bild recht hat. Es hat schon immer so ausgesehen, wie jetzt. Es hat sich nicht verändert. Es ist in den Stunden, in denen es Tausende angeschaut haben und in den Stunden, in denen es dunkel war, und niemand es angeschaut hat, gleichgeblieben. Es trägt freilich Spuren der Zeit: Zum einen der Zeit, in der es entstanden ist. Die feinsten Furchen in der getrockneten Paste der Farbe sind Spuren des Pinsels in der Hand des Malers. Aber ihr geschicktes Spiel folgt ja schon den Lichtern und Schatten der Szene. Damit will ich nicht etwa sagen, dass diese vorher schon dagewesen wäre, das Bild gleichsam schon darunterläge. Aber auch, wenn jeder Strich erst das in ihm Sichtbare ans Licht bringt, verdankt er selber in seiner bildhaften, bildnerischen Bedeutung sich doch einem hellsichtigen Vorblick: dem Vorblick auf das Zusammengehören aller Bezüge und Beziehungen ins Ganze des Bildes. Aus diesem erst erhält die in jedem Strich aufleuchtende Farbe ihre Bedeutung bei der Bildwerdung des Gemäldes. In diesem Vor-und-Zurück-aneinander-gebunden-Sein sind der Blick des Malers und das in ihm Gesehene im Gemälde zur Einheit des Bildes verschränkt. Und diese Verschränkung (ich habe immer noch das kleine Gemälde mit der Schlägerei vor Augen) ist offensichtlich in den Spuren eines jeden Pinselstriches – sei er hell und pastig, oder weich und dunkel verlaufend – eingelassen, festgeworden, abgeschlossen und verschlossen. Verschlossen, das will hier sagen: nicht mehr zu öffnen in der Vorstellung eines irgendwie „realen“ Malvorganges. Eine solche Vorstellung führt vom Bild weg.
Bleiben wir aber beim Gemälde. Dieses weist nämlich noch andere Spuren der Zeit auf, der Zeit nach seiner Vollendung. Risse zum Beispiel und das Öl oder der Firnis sind in den Furchen der Pinselstriche im Lauf der Zeit vergilbt – mehr oder weniger geeignetes Malmaterial verdirbt über die Jahre. Das Gemälde geht langsam, aber sichtbar unaufhaltsam seiner Zerstörung entgegen. Eigenartigerweise aber rührt diese Zerstörung, sosehr sie auch das Gemälde als Ganzes betrifft, überhaupt nicht an der inneren Ruhe des Bildes. Im Gegenteil scheinen die Spuren des Verderbens des Materials auf faszinierende Weise die Eigenständigkeit des Bildes noch zu steigern. Die Sucht, diesen Verfall aufhalten oder gar rückgängig machen zu wollen, scheint mir Teil einer Geistesverfassung zu sein, die das menschlich-vergängliche nicht sehen will und deshalb nie etwas anderes, als das faktisch Feststellbare sehen kann. Ein Gemälde stellt den Abdruck des Sich-Verschränkens von Blick und Gesehenem, das Zu-sich-selbst-kommen des Bildes dar. Als ein solcher Abdruck braucht es, um dieses erscheinen lassen zu können, in irgendeiner Weise die Möglichkeit, die Spuren der Zeit aufnehmen zu können. Eine derartige Möglichkeit gewährt nur ein, dem Werden und Vergehen unterworfenes Material, und alle seine jeweiligen Eigenarten bilden mit all ihren Konsequenzen einen unabtrennbaren Bestandteil eines Gemäldes. Das Gemälde also: zum einem Abdruck der Zeit in der der lebendige Blick und das, was er sieht, sich verschränken und zum Bild vollenden. Das vollendete Bild hingegen: abgeschlossen und verschlossen im Gemälde. Und dann das fertige Gemälde: selbst der Zeit unterworfen, vergänglich.
An dieser Stelle können wir unser Museum wieder verlassen und ich versuche das Gezeigte kurz zusammenzufassen: Gemälde eröffnen sich offensichtlich im Anschauen und nur im Anschauen. Zugleich aber legen sie eine eigenartige Verschlossenheit an den Tag. Sie ruhen abgeschlossen in sich, unabänderbar, der Ort ihrer Herkunft, ihr Eigenstes bleibt unzugänglich. In der genannten Verschlossenheit zeigt sich seltsamerweise die Vollendetheit eines Gemäldes. Vollendetheit des Gemäldes will sagen, dass es das ganz und gar Erblickte, ganz zu sich gekommene, in sein Eigenes eingegangene Bild, abbildet. Dies hinterlässt zwar das Gemälde als Abdruck, als faszinierende Spur, bleibt aber selber verschlossen und in seinem Innersten unzugänglich. Es liegt nahe, diese Verschlossenheit entweder zu übersehen oder sich an ihr zu stoßen. Wo sie sich aber zeigt, zeigt sie sich als die augenfällige Gewähr für das im Gemälde Verwahrte, ohne dieses selbst preiszugeben oder unmittelbar zugänglich werden zu lassen.
Von außen beurteilt, kann das Geschilderte als Manko verhandelt werden. Das immer wieder nur auf sich selber bezogene aktuelle Leben fordert positiv Erfahrbares und den Zugang zu immer mehr und immer neuen Erlebnisbereichen. Hier ist, statt Malerei, visuelle Kommunikation angesagt, interaktiv, im Aufbruch zu immer weiteren Fortschritten. Statt Malern jagen weitaus fortschrittlichere individuelle Größen nach innovativer Selbstdarstellung und Selbstverwirklichung.
„Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt“, sagt Thomas Bernhard in seiner Dankesrede anlässlich einer Preisverleihung, die ihn endgültig und gleichsam offiziell in den Rang des Weltberühmten hebt. – Ich denke, dass der Einblick in das, was Vollkommenheit, Vollendung, Abgeschlossenheit und Verschlossenheit in der Malerei beinhalten, einerseits den Maler, wenn und wo er denn ein solcher ist, zu äußerster Sorgfalt und zugleich zu höchster Zurückhaltung verpflichten. Malerei ist mit Sicherheit nicht das Feld, auf dem nach Selbstverwirklichung gesucht werden kann. In Anbetracht dessen, was ich hier zu zeigen versucht habe, gewinnen Aussagen, wie etwa die von Cézanne, der meint, dass immer, wenn er sich in das Malen einmische, alles verdorben werde, zwar sicher keinen neuen Aspekt, aber vielleicht werden sie für die Betroffenen wieder ein wenig deutlicher hörbar. Zumindest, was Bilder angeht, gibt es das Individuelle, sozusagen die Einzelseele nur aus der Sicht eines Ganzen; einer Sicht, die als Solche für uns verschlossen bleibt. Nur von daher hat das seinen Sinn. Für sich genommen, von sich selber her gesehen, will sagen reflektiert und bewusst angestrebt ist eine Bemühung nach Unverwechselbarkeit oder individueller Originalität nichts anderes als tragische Verzweiflung – in günstigen Fällen heilbar jedenfalls kein Charakteristikum von Meisterlichkeit in der Malerei. Den Maler möchte das Gesagte also zu äußerster Sorgfalt und höchster Zurückhaltung mahnen.
Darüber hinaus aber ist es meine, vielleicht etwas überspannte Hoffnung, dass das Aufscheinen einer eigenartigen Unzugänglichkeit in Gemälden (vergleichbares ließe sich, wie ich meine, zumindest auch im Bereich der Musik und Dichtung zeigen) Einsichten gewährt, die dem Aktuellen und jeweils Heutigen, was all seine Maximen immer nur innerhalb der Grenzen des Zugänglichen und Verfügbaren zu gewinnen sucht, den ihm gebührenden Rang zuweisen und seinen Universalanspruch in Frage stellen könnte. Aber das gehört nicht mehr zum Thema meines Vortrages.



                                                                                                                                                                                                                                               
1)
Vortrag vom 18. 2. 2001 im Raum für Musik, Zoglau 3







Farbe als Grenze


Der Anfang der Malerei 1)
  Der Raum, der uns überall umgibt, ist an sich leer und – was wohl eigentlich das Gleiche besagt –  endlos. In ihm befinden sich alle vorhandenen Gegenstände. Der leere "freie" Raum bietet die Möglichkeit diese Gegenstände nach unserem Willen und Be­dürfnis zu behandeln und zu gestalten. Jeglicher Widerstand, auf den wir dabei stoßen, entstammt in irgendeiner Weise den Gegen­ständen. Solche Vorstellungen gelten, trotz der an allen Enden drohenden Gefahren, offenbar weitgehend noch immer. Darüber hinaus und allem zuvor bietet der freie Raum wohl aber die Mög­lichkeit, die in ihm vorhandenen Gegenstande erst einmal wahrzu­nehmen. Im Folgenden geht es um das Sehen.
  Dem Sehen ist der leere Raum durchsichtig. Dies beinhaltet aber auch: er bleibt als durchsichtiger unsichtbar. Durchsichtig – dies sei hier der Kürze halber nur am Rand erwähnt – ist der Raum allerdings nur, wenn er, wie man sagen könnte, maßvoll von Licht durchschienen ist.
  Finsternis und blendendes Licht jedenfalls sind dem Sehen undurchdringlich. (In dieser Undurchdringlichkeit verschwindet das Sehen nicht unbedingt und zwangsläufig, es verwandelt sich aber völlig in Bezug auf seinen Ort und seine Herkunft. Dies ge­nauer zu zeigen würde hier zu weit führen.) In blendendem Licht bzw. Finsternis verschwindet das sichtbare Gegenüber und mit ihm die Durchsichtigkeit des Raumes. Es ist das Eigentümliche des Durchsichtigen, dass es selber unsichtbar bleibt. Nur so gibt es die Sicht frei auf jegliches Gegenüber. In diesem Gegenüber fin­det das Sehen jeweils seine Begrenzung. Sei es Boden, Haus oder Himmel, alles erscheint in dieser Weise jenseits des Durchsich­tigen. Dort begrenzt es das Sehen und ist somit auch die Grenze der Durchsichtigkeit. Aber erst an dieser Grenze und nur durch ihre Anwesenheit bekundet sich die Durchsichtigkeit des Raumes. Er ist nur durchsichtig, insofern er und wo er auch begrenzt ist.
  Wenn wir nun die Grenze der Durchsichtigkeit selber als solche sehend betrachten, d. h. wenn das Sehen an dieser Grenze sich aufhält und sie nicht zu durchdringen oder zu überspringen sucht, erscheint sie farbig. Die Farbe befindet sich aber nicht etwa an dieser oder auf dieser Grenze des Durchsichtigen, sondern im Bereich des Sehens sind Farbe und Grenze ein und dasselbe. Anders gesagt: überall wo Farbe erscheint, ist die Durchsichtig­keit begrenzt und umgekehrt, wo die Durchsichtigkeit endet, zeigt sich immer Farbe. Es gibt nicht noch eine andere Möglichkeit des Erscheinens von Farbe und so auch keine andere Möglichkeit, in der das Durchsichtige begrenzt sein könnte. Dies heißt nun nicht unbedingt, dass wir immer zuerst Farben wahrnehmen. Es gilt nur da, wo wir sehen und das heißt da, wo wir die Begrenztheit und Begrenzung des Durchsichtigen eigens beachten. Lassen wir uns darauf ein, so sehen wir als Ende und Grenze des Raumes Farbe.
  Um das Gesagte recht zu verstehen, ist es nötig, die eigentümli­che Art zu beachten, in der Farbe jeweils erscheint. Zur Farbe gehört vor allem die Farbigkeit, d.h. Farbe zeigt sich jeweils im vielfach schillernden Wechsel ihrer Spielarten, in welchem sich jede dieser Spielarten nach allen Richtungen mit anderen Spielarten abwechselt. Anders gesagt: Farbe erscheint, indem sie sich überall in sich mit sich selbst begrenzt. Dieses Sich-mit­-sich-selbst-Begrenzen, dieses "Spiel der Farben" gehört so un­mittelbar ins Eigentümliche der Farbe, dass aus ihm erst ihre Möglichkeit entstammt, zu erscheinen. In diesem Erscheinen aber zeigt sich Farbe als Ende und Grenze des Durchsichtigen und sie begrenzt dieses, indem sie sich mit sich selbst begrenzt. Zum Durchsichtigen also gehört das sichtbare Gegenüber und dieses erscheint als in sich begrenzte Grenze – als Spiel der Farben.
  Das, was hier nun Farbe als Grenze oder auch Spiel der Farben heißt, ist aber nicht jederzeit offensichtlich bzw. überall geradewegs einsehbar. Es will, wie bereits erwähnt, eigens beachtet sein. Dabei kann die Malerei helfen und dienen, denn sie ist, recht verstanden, selbst nichts weiter als das Beachten der vielfaltigen Begrenztheit der Farbe. Jedes Gemälde begegnet uns zunächst als Gegenstand im Raum und erscheint so im Gegenüber als eine Begrenzung des Durchsichtigen. Wenn es denn aber als Gemälde angeschaut wird, wird es zum alleinigen Gegenüber. (Hier ist es vielleicht angebracht, nochmal darauf hinzuweisen, dass hier von Gemälde, Malerei und Sehen die Rede ist. Die Wahr­nehmung z.B. eines "Kunstobjekts" im Raum ist etwas ganz an­deres.) Das Gemälde als alleiniges Gegenüber begrenzt das Sehen allein auf sich in seiner jeweiligen Eigenart und Begrenztheit. Als Grenze des Durchsichtigen ist das Gemälde, wie jedes Gegenüber, Farbe. Es erscheint als das sich-mit-sich-selbst-begrenzende Spiel der Farben und es erscheint als eine begrenzte Spielart dieses Spiels. Das bedeutet nun, wenn das Gemälde als solches angeschaut wird nicht mehr, dass das Gemälde "räumlich" gegen Wand und Fenster oder gegen andere Gegenstände abgegrenzt ist. Es bildet je als solches den einzigen "Inhalt" des Anschau­ens. Seine Begrenztheit beruht vielmehr darin, dass sich in jedem Gemälde nur jeweils eine bestimmte Variante des Spiels zeigt. – Hier wird es wichtig, kurz darauf hinzuweisen, dass in diesem Zu­sammenhang der Unterschied zwischen "abstrakter" und "gegenständlicher" Malerei unbedeutend ist. Nebenbei bemerkt, ist „gegenständliche“ Malerei nur deswegen möglich, weil Blick und Farbe ursprünglich und nicht erst im "Abbild" zusammengehören. Wie und wieweit, wodurch und worin das Benennen und Nennen der Sprache mit dem Spiel der Farbe zusammenstimmen, kann hier nicht gezeigt werden. Dies wäre aber statt abstrakt und gegenständlich in diesem Zusammenhang das eigentlich Bedenkenswerte. – Das Gemälde also zeigt uns in seiner jeweiligen Eigenart, Ein­zigartigkeit und Besonderheit nur eine fest umgrenzte Spielart des Spiels der Farben. Dies geschieht, indem es sich ganz auf sich beschränkt und in dieser Beschränkung bleibt und ruht. Jede Stelle eines Gemäldes bleibt, wie sie ist und wo sie ist und tritt nur in Beziehung zu anderen Stellen des Gemäldes, die ebenfalls bleiben und ruhen. In dieser Ruhe beschränkt sich das Spiel der Farbe in jeweils eine Spielart. Diese Beschränkung bildet die innere Begrenztheit als Eigenart des jeweiligen Gemäldes. Im Anschauen begrenzt das Gemälde das Sehen ausschließlich auf sich und erweist sich dabei selber als nach überallhin und in sich selbst begrenzte Grenze. D.h., das auf dem Gemälde verweilende Sehen als Anschauen beschränkt sich ganz auf das und in das Gemälde selber, nimmt dessen Ruhe auf und un­terscheidet sich so nicht mehr von diesem. In dieser Weise er­scheint das Gemälde als Blick. Auf diesen kann nun nicht noch von außen ein anderer Blick geworfen werden. Ein Einlassen auf das, was in ihm jeweils erscheint, kann nur in der Aufnahme und Übernahme des Blickes geschehen, den das Gemälde jeweils in sich umgrenzt. Dabei verliert das Gemälde gänzlich den Charakter des Gegenüber und wird als Blick Bild. Dieses Verschwinden des Gegenübers und damit der Vorhandenheit des Gemäldes ist der eigentliche Ursprung oder Anfang der Malerei. Hier gibt es nämlich keinen Unterschied zwischen dem gemalten und dem entstehenden, erst in die Malerei einkehrenden Bild.
  In dem, was hier Bild als Blick heißt, verschwindet aber mit dem Gegenüber auch der durchsichtige Raum. Vom Bild aus gesehen gibt es in diesem und durch dieses Verschwinden auch keinen Unter­schied mehr zwischen dem Malen, dem verfertigten Gemälde und dem Anschauen desselben, insofern und wo sich all dies im selben Blick begegnet. Anders gesagt kann die Vorhandenheit und so auch die Vorhandenheit eines Gemäldes letztlich überhaupt nur Hilfe, nie aber Bedingung für das geschilderte Geschehen sein.
  Das Bild hat, wie bereits zuvor erwähnt, auch keine räumlichen oder ausdehnungsmäßigen Grenzen. Allerdings erscheint das Bild jeweils begrenzt. Dies einmal insofern es in sich als das sich­-mit-sich-selbst-begrenzte Spiel der Farben erscheint, darüber hinaus aber auch, insofern es ruht und somit eine Spielart dieses Spiels zeigt. In dieser Beschränkung verhüllt und ver­birgt das Bild jede andere Möglichkeit des Spiels der Farbe und erweist sich so als Teil des gesamten Spielraums der Farbe. 3)
  Die Behauptung, dass das Bild als begrenzte Spielart einen Teil des Farbspielraumes bildet, kann für eine rein theoretische Schlussfolgerung gehalten werden. Erst im Anblick eines Bildes kann dieser Verdacht entkräftet werden. Aber auch da zeigt sich die Teilhaftigkeit am zögerndsten. Wo sie sich allerdings zeigt, zeigt sich mit ihr, dass das Bild nicht nur irgendwie Teil dieses Farbspielraumes ist, sondern dass es einen Teil davon bildet, denn dieser erscheint nirgendanderswo als im Blick des Bildes und sein Erscheinen gehört unmittelbar mit ihm selbst zu­sammen. Es gibt Farbspielraum und Erscheinen nicht getrennt voneinander. Insofern bleibt es nützlich den gesamten Zusammenhang, in dem der Farbspielraum sich in seinen Teilen bildet, im Blick zu behalten:
 
  Der leere Raum erweist sich im Sehen als durchsichtig, die Durchsichtigkeit aber als begrenzt. Als Grenze erscheint die Farbe im Spiel der Farben. Mit Hilfe des Gemäldes, welches als diese Grenze selbst in seiner eigenen Begrenztheit beruht, zeigt sich eine Spielart des Spiels jeweils als Blick. In diesem erscheint das Gemälde als Bild, welches einen Teil des Farbspielraumes bildet.
  Das Erscheinen des Farbspielraumes - und dies sei als letztes erwähnt - entspringt dem Beachten der Farbe als Grenze; dies ge­schieht mit Hilfe der Malerei. Das Erscheinen des Farbspielrau­mes muss aber dann nicht auf die Vorhandenheit von Gemälden beschränkt bleiben. Um dies aber zu erkennen und zu behalten, bedarf es immer neu der Benennung des Sichtbaren in seiner Eigen­schaft als Eigentum des Farbspielraumes. Die Schwierigkeit die­ses Nennens entspricht der bereits erwähnten Schwierigkeit der Benennung dessen, was sich in "abstrakter" Malerei zeigt und so ist auch die sogenannte abstrakte Malerei nichts anderes als ein begrenzter Versuch eines solchen Nennens.
1)
Referat gehalten am 23.10.1990 in Rottau - Grassau auf dem deutsch-ungarischen Heideggersymposium „Der abendländische Anfang im Denken Martin Heideggers" (Rottau-Grassau und Meßkirch 22.-25.10.1990)


2)
Dem widerspricht auf keinen Fall, dass ein Gemälde in sich immer ganz und vollendet erscheint, im Gegenteil beruht gerade in dieser Vollendetheit und Abgeschlossenheit seine Teilhaftigkeit. Als Hinweis sei erwähnt, dass auch jeder Teil eines Gemäldes – richtig angeschaut – in sich selbst sich gänzlich vollendet und gerade so einen Teil des Gemäldes bildet.




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